Im Interview mit Dr. Sebastian Weber, Autor des Buches "Arbeitszeit und Dienstplanung in Einrichtungen der Caritas"
Redaktion: Herr Weber, kürzlich ist Ihr Buch „Arbeitszeit und Dienstplanung in Einrichtungen der Caritas“ erschienen. Warum liegt Ihnen dieses Thema am Herzen, wie kam es zu dem Entschluss, ein Buch darüber zu schreiben?
Herr Weber: In meiner täglichen Arbeit sind die Fragen der Arbeitszeitgestaltung und Dienstplanung tatsächlich von größerer Bedeutung und die Einrichtungen und Dienste der Caritas liegen mir am Herzen. Der Verlag hat insofern mit seiner Anfrage bei mir eine offene Tür eingerannt.
Redaktion: Die Autorentätigkeit macht ja nur einen kleinen Teil Ihres Berufslebens aus. Erzählen Sie uns ein paar Dinge zu Ihren weiteren beruflichen Schwerpunkten?
Herr Weber: Ich bin Partner der Rechtsanwaltskanzlei „Bender & Philipp“ und in unserem Münchener Büro tätig. Wir sind darauf spezialisiert, Einrichtungen und Dienste sozialer Leistungen zu beraten und zu vertreten. Dies reicht von Krankenhäusern und Reha-Kliniken bis zur Pflege und Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen. Als Fachanwalt für Sozialrecht liegt der Schwerpunkt im Sozialrecht, insbesondere in der Verhandlung von Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen. Ich berate die Einrichtungsleitungen aber auch arbeitsrechtlich in ihrer Zusammenarbeit mit den Betriebsräten und Mitarbeitervertretungen bzw. in einzelnen Personalfällen. Das Ordnungsrecht, also vor allem das sog. Heimrecht, spielt auch noch eine Rolle. Neben der anwaltlichen Tätigkeit unterrichte ich an der Universität Eichstätt-Ingolstadt und an der Hochschule München Sozialrecht und bin seit Anfang des Jahres Schriftleiter der Zeitschrift „Sozialrecht aktuell“.
Redaktion: Was ist in Einrichtungen der Caritas anders als in anderen Institutionen, was sind hier die Besonderheiten?
Herr Weber: Die tägliche Leistung der Mitarbeitenden gegenüber den Bewohnern und Klienten mag sich auf den ersten Blick gar nicht so sehr von derjenigen anderer Anbieter unterscheiden. Ich erlebe die kirchlichen Dienstgeber aber auch heute noch im Rahmen der Dienstgemeinschaft als „andere Arbeitgeber“, die eine besondere Form der Zusammenarbeit mit den Mitarbeitervertretungen pflegen und bei denen über allem immer noch der besondere Auftrag als Caritas oder auch Diakonie steht. In übergeordneten Angelegenheiten beraten wir die Verbände der Einrichtungen und Dienste häufig. Da ist innerhalb der Wohlfahrtsverbände, aber auch im Vergleich zu den privaten Anbietern, durchaus ein Unterschied spürbar.
Redaktion: Sie sind Experte im Sozialrecht. Wie hat sich die Spezialisierung auf die AVR-Caritas in der Praxis entwickelt?
Herr Weber: Ich berate viele Einrichtungen und Dienste im Bereich der Wohlfahrt, insbesondere auch der Caritas. Sowohl in der innerbetrieblichen Wirklichkeit wie auch in der Verhandlung von Vergütungssätzen mit den Kostenträgern spielt das jeweilige „Tarifwerk“, an das der Träger gebunden ist, eine entscheidende Rolle. Wenn ich mit den Kostenträgern leistungsgerechte Vergütungen verhandeln will, dann ist dafür die Ermittlung der AVR-bedingten Personalkosten eine ganz erhebliche Größe, wenn nicht sogar die entscheidende. Ohne Kenntnis der AVR lässt sich das nicht lösen, zumal z.B. die Frage von Eingruppierungen durchaus streitig sein kann, aber finanziell viel bedeutet. Die Dienstplangestaltung ist in vielerlei Hinsicht von Bedeutung, etwa für die ordnungsrechtliche Frage, ob hinreichend Personal eingesetzt wurde, und für die sozialrechtliche Frage, ob der Träger seine Pflichten aus der Leistungsvereinbarung erfüllen kann und tatsächlich erfüllt. Ohne AVR-Kenntnis käme ich also nicht zurecht.
Redaktion: Sie bezeichnen die Arbeitsvertragsrichtlinien des Deutschen Caritasverbandes in Ihrem Buch als "komplexes Regelungswerk". Was würden Sie dem Neueinsteiger, der Neueinsteigerin empfehlen, der sich als Dienstgeber, Personalsachbearbeiterin, Anwalt, Mitarbeitervertreterin oder Mitarbeiter in diese schwierige Materie einarbeitet?
Herr Weber: Ich glaube, man kann sich die AVR im Grunde nicht theoretisch im Ganzen aneignen, sondern es bedarf zunächst eines guten Überblicks und dann der Beschäftigung mit Detailfragen im konkreten Fall. Wichtig ist für alle Beteiligten, zu wissen, was die AVR überhaupt regeln und was nicht. Da sollte sich jeder orientieren.
Redaktion: Wie ist der rote Faden durch Ihr Buch, wie haben Sie es aufgebaut?
Herr Weber: Der rote Faden ergibt sich im Grunde aus den Kapiteln. Ich wollte keinen Kommentar zu einzelnen Vorschriften und Regeln verfassen, sondern im Grunde folgende Fragen beantworten: Was versprechen die Mitarbeitenden, die im Anwendungsbereich der AVR tätig sind, mit der Unterschrift unter den Dienstvertrag? Was kann der Dienstgeber auf dieser Basis bei der Dienstplanung verlangen? Wie ist die MAV dabei einzubeziehen? Und was bekommen die Mitarbeitenden schließlich für ihre Leistung? Da Flexibilität dabei eine immer größere Rolle spielt, gab es dafür dann ein Extra-Kapitel. Das hätte man natürlich auch jeweils integrieren können, aber das wäre unübersichtlich geworden.
Redaktion: Worin besteht die besondere Praxisorientierung, welche Hilfestellungen und Antworten dürfen die Leserinnen und Leser erwarten?
Herr Weber: Ich habe im Grunde aus der täglichen Arbeit berichtet, habe mich an den von uns beratenen Einrichtungen und Diensten orientiert. Viele Beispiele und Checklisten entstammen daher unmittelbar dem eigenen Erfahrungsschatz und damit den Leistungsbereichen der sozialen Dienste. Da hiervon sowohl die Dienstgeber- wie auch die Mitarbeitenden-Seite gleichermaßen betroffen ist, dürfte das Buch für beide „Seiten“ gleichermaßen nützlich sein. Ob dies nun zum Beispiel die Frage der Berechnung der notwendigen Personalstärke in einer Einrichtung betrifft, die Flexibilität bei der Dienstplanung oder eben auch die Grenzen dessen, was die AVR zulassen.
Redaktion: Im Vorwort Ihres Buches erläutern Sie, dass die Umsetzung der Arbeitszeitregelungen von Interessengegensätzen bestimmt wird. Konflikte in Caritas-Einrichtungen zwischen Dienstgeber, Mitarbeitenden und MAVen erleben Sie regelmäßig im Rahmen ihrer anwaltlichen Tätigkeit. Wie hoch ist nach Ihrer Erfahrung die Bereitschaft, die Argumente der jeweils anderen Seite anzuerkennen und von welchen Umständen hängt die Chance ab, zu einvernehmlichen Lösungen zu kommen?
Herr Weber: Es gibt manchmal verhärtete Situationen, aber in den allermeisten Fällen sind letztlich beide Seiten daran interessiert, vernünftige und praxistaugliche Lösungen zu finden. Dies gilt im Übrigen meist auch für die beteiligten Anwälte. Aber das gelingt freilich nicht immer. Manchmal braucht man die Moderation durch Dritte, manchmal muss es das Gericht sein. Zum Teil entlastet die Beteiligten eine solche Streitschlichtung auch, aber wesentlich ist am Ende doch, dass man sich auch am „Tag danach“ trifft und wieder in die Augen schauen können muss. Klar ist doch, dass alle aufeinander angewiesen sind. Die Caritas kann ihren Zweck ohne die Mitarbeitenden nicht verwirklichen, ohne die Caritas finden die Mitarbeitenden aber auch nicht diese Form des Arbeitsplatzes im kirchlich geprägten Sozialbereich. Dies zwingt bald zu Kompromissen und Augenmaß. Meistens klappt das auch.
Redaktion: Pandemiebedingt haben in diesem Jahr auch arbeitszeitrechtliche „Randthemen“ wie Kurzarbeit eine besondere Bedeutung bekommen. In welchen Bereichen des Arbeitszeitrechts sehen Sie derzeit Änderungsbedarf bei den Arbeitsvertragsrichtlinien der Caritas?
Herr Weber: Fertig ist man nie! Die Kurzarbeit hat schnell Ergänzungsbedarf erzeugt; die größte Baustelle aus meiner Sicht war in den vergangenen Jahren die sog. Leiharbeit – da ist was passiert, aber es wird weiter gestritten. Die Digitalisierung, die in der Pandemie in großem Umfang erlebte Arbeit im Home-Office, Videokonferenzen statt Besprechungen u.ä. werden uns in der nächsten Zeit, denke ich, am meisten beschäftigen. Einiges werden wir frohgemacht „nach“ der Pandemie wieder anders machen, anderes wird bleiben. Ich erlebe selbst, dass die Anzahl von Besprechungen deutlich steigt. Die Hemmschwelle für einen Termin an einem anderen Ort ist größer als die für eine Videokonferenz, die mit zwei Klicks steht und keine Reisezeit erfordert. Da werden wir aufpassen müssen, dass wir nicht überziehen. Arbeitszeitrechtlich wird diese einfache Erreichbarkeit ein großes Thema sein.
Redaktion: Das deutsche Arbeitszeitrecht geht Kritikern angesichts der zunehmenden flexiblen Arbeitszeitgestaltung oft nicht weit genug. Sie beklagen das Arbeitszeitgesetz als zu starr und nicht mehr in die moderne Arbeitswelt passend. Schließen Sie sich dieser Kritik an?
Herr Weber: Ich kann diese Kritik durchaus nachvollziehen. Schon die Teilzeit im Vergleich zum vorgeblichen „Normalbild“ der Vollzeitstelle zeigt doch, dass sowohl Dienstgeber wie auch Mitarbeitende ein Bedürfnis nach individuelleren Lösungen haben. Ein Arbeitstag von 9 bis 17 Uhr ist nicht mehr zeitgemäß. Aufgrund der familiären Situation wünschen sich Mitarbeitende, dass sie z. B. auch um 6 Uhr beginnen können, um dann früher zu Hause zu sein, oder erst am Nachmittag anfangen zu dürfen oder auch abends arbeiten zu können. Es stellt sich auch die Frage, warum man nicht auch am Wochenende anstatt am Montag etwas erledigen können soll, ohne dass dies gleich Regelungsbedarf arbeitszeitrechtlich oder in der Vergütung erzeugt. Für viele besteht wiederum gar kein starrer Rhythmus, sondern Wochenend- und Feiertagsarbeit ist normal. Dennoch bleibt eins wichtig: Es braucht Regeln, um beiderseitig nicht zu überziehen. Die Erholungsphasen sind wichtig! Jeder merkt es doch an sich selbst – man kann mal das Wochenende durcharbeiten und Montag gewissermaßen schon 100 m weiter sein als andere, aber im Laufe der Woche wird man merken, dass die Leistungsfähigkeit nachlässt. Unter dem Strich kommt es auf die Balance an. Wenn man an die Arbeit etwa unmittelbar in der Assistenz für Pflegebedürftige oder Menschen mit Behinderungen denkt, dann stellen sich wieder ganz andere Fragen. Home-Office wird da nur für einen Teil zur Debatte stehen, etwa für die indirekten Leistungen wie Dokumentation, Korrespondenz u.ä. Da wird die Digitalisierung helfen. Assistieren und pflegen kann ich aber meist nur persönlich. Natürlich gibt es da gerade auch mit Blick auf eine echte Inklusion mehr Impulse zu einer Art Baustein-Logik, die stundenweises Arbeiten erfordert. Selbstverständlich kann aber ein Mitarbeitender nicht gewissermaßen 24 Stunden auf Abruf zur Verfügung stehen. Da werden wir uns noch einiges überlegen müssen, was dann auch rechtlich abzubilden ist. In Bausch und Bogen verdammen würde ich das geltende Recht jedoch nicht.
Redaktion: Sehr anschaulich schildern Sie die Vorgaben und Zwänge, denen der Dienstgeber bei seiner täglichen Personalpolitik unterliegt. Ein Instrument, das ihm bei der Dienstplanung zur Verfügung steht, von den Mitarbeitenden aber kritisch gesehen wird, ist der geteilte Dienst. Wann ist die Anordnung von geteilten Diensten aus Ihrer Sicht gerechtfertigt?
Herr Weber: Das knüpft im Grunde an die Vorfrage an. Ich halte den geteilten Dienst grundsätzlich für notwendig. In der Betreuung z. B. in einer Wohneinrichtung für Menschen mit Behinderungen, die tagsüber ihren Arbeitsplatz oder die Werkstatt aufsuchen, besteht nun einmal morgens und dann im Laufe des Nachmittags erst wieder ein Bedarf. Die Personalplanung wird im Grunde unmöglich, wenn ich für beide Zeiten des Tages grundsätzlich zwei verschiedene Mitarbeitende einsetzen muss. So viele Teilzeitkräfte gibt es dann am Ende auch wieder nicht. Da hilft dann nur für „morgens“ die Verlängerung der Nachtschicht, was auch nicht unbedingt komfortabel ist, gerade für diejenigen, die Vollzeit arbeiten. Es stellt sich auch die Frage, ob nicht freie Zeit zwischendrin in der eigenen Lebensführung hilft, kann man doch in diesen Zeiten eigene Besorgungen machen; man braucht für den Weg zu einer Behörde mit ihren Öffnungszeiten keinen freien Tag oder kann für die eigenen Kinder mittags zu Hause sein. Trotzdem muss natürlich auch hier gelten, dass die Erholungsphasen passen. Auch Mitarbeitende im geteilten Dienst können nicht gefühlt den ganzen Tag arbeiten. Ausgewogene Lösungen, die den Dienstgebern Flexibilität erlauben, auch um ihren eigenen Pflichten zu entsprechen, die aber auch die berechtigten Bedürfnisse der Mitarbeitenden beachten, sollten daher möglich sein und sind am besten auf der betrieblichen Ebene zu finden.
Redaktion: Dass europäische Vorgaben immer wieder in das deutsche Arbeitszeitrecht hineinspielen, haben wir beim EuGH-Urteil zur Arbeitszeitdokumentation aus dem Jahr 2019 erlebt. In Ihrem Buch weisen Sie darauf hin, dass das deutsche Arbeitszeitgesetz bislang hinter dieser Entscheidung zurückbleibt. Welche langfristigen Entwicklungen sind hier zu erwarten?
Herr Weber: Der deutsche Gesetzgeber wird nachziehen müssen; die Arbeitsgerichtsbarkeit wird die Entscheidungen des EuGH umsetzen und ggf. das deutsche Recht auch gegen dessen Text umdeuten. Man kann diesen europäischen Vorgaben durchaus skeptisch gegenüber stehen; schon die Frage, ob Europa überhaupt „zuständig“ ist und ob nicht im Sinne des zuvor Gesagten nicht individuelle, regionale oder einzelstaatliche Lösungen besser sind, wird man im Sinne der Subsidiarität m.E. wieder stärker betonen müssen. Dies gilt auch für die durchaus kulturell geprägte Gestaltung des Arbeitstages und der Dienstplanung. Die Europäische Union ist insoweit z.T. einfach zu groß, um die Nuancen hinreichend berücksichtigen zu können. Trotzdem ist sie nützlich, denn europäische Vorgaben brechen zum Teil auch starre, aber nicht mehr wirklich sinnvolle Regeln in den Mitgliedstaaten auf. Das Arbeitszeitrecht ist da m.E. aber eher begrenzt geeignet. Hier sollte tatsächlich überwiegend der Mitgliedstaat selbst entscheiden können.
Redaktion: Von den gesetzlichen Ausblicken zurück zu Ihren persönlichen Zielen. Welche beruflichen Zukunftspläne haben Sie, dürfen wir uns vielleicht auf ein weiteres Buch von Ihnen freuen?
Herr Weber: Nach dem Buch ist vor dem Buch? Spaß beiseite. Ich habe zuletzt auch noch ein Buch zur neuen Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen geschrieben und bin mit der laufenden Kommentierung von Vorschriften des SGB XI in verschiedenen Werken oder der MAVO im Eichstätter Kommentar gut ausgelastet. Die Schriftleitung bei „Sozialrecht aktuell“ ist gerade hinzugekommen. Von daher wird es etwas Zeit brauchen. Aber das Sozial- und Arbeitsrecht ist so schnell in der Veränderung, da gibt es sicher bald wieder einen Anlass.
Redaktion: Der Beruf ist ja nur ein Teil des Lebens. Jetzt würde uns natürlich noch interessieren, was Sie ansonsten gerne machen!
Herr Weber: Joggen allein ist es dann doch nicht. Im Winter langlaufe/skate ich so viel wie möglich, Wandern im Sommer ist mir sehr wichtig. Ansonsten lese ich gern, gehe in die Oper und ins Theater, treffe mich mit Freunden und verreise viel.
Redaktion: Herzlichen Dank für das Interview und Ihre Zeit, für so viel fachliche, berufliche und auch private Informationen. Wir wünschen Ihnen weiterhin alles Gute!
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